Die Welt der Commons

Muster des gemeinsamen Handelns

Unser gemeinsamer Reichtum

Wie Karten Commons sichtbar machen

Ellen Friedman

Wenn ein Bild mehr sagt als tausend Worte, dann sagt eine Karte vermutlich mehr als tausend Bilder. Seit 2010 sind Hunderte »Mapping«-Projekte für Commons und »Ökonomien des Gemeinsamen« entstanden, die Tausende innovative soziale, ökologische und ökonomische Initiativen abbilden. So erzählen sie komplexe Geschichten des Neuen, das in den Rissen des Alten auftaucht, so wie Löwenzahnknospen durch berstenden Beton brechen.

Die Karten erfüllen mehrere Zwecke zugleich. Sie bieten (oft offene) digitale Plattformen an und helfen damit neuen Projekten, Mitglieder zu finden. In dem Maße, wie sich solche Karten mit nutzergenerierten Inhalten füllen, wird die Kraft jener partizipatorischer Initiativen sichtbar, die den Anspruch erheben, geteilte Ressourcen selbst zu verwalten. Das betrifft so unterschiedliche Dinge wie urbane Räume, Seen, frei zugängliche Obstgärten, Umweltprojekte und Hackerspaces. Die vielen Commons-Karten und Karten von Wirtschaftsunternehmen, die am Menschen statt am Gewinn orientiert sind, erzählen von Gruppen und Initiativen, die den Status quo zurückweisen, mit ihrem unmittelbaren Lebensumfeld in enger Beziehung stehen und dieses wieder neu beleben.

Einige bedeutende Mapping-Projekte werden im Folgenden beschrieben, eine komplette Liste der entsprechenden Karten einschließlich der Internet-Links findet sich am Ende des Textes.

Eine beträchtliche Zahl von Mapping-Projekten befasst sich mit Commons im städtischen Raum.1 Bei dem 2010 gegründeten Projekt Mapping The Commons(.net) werden offene Workshops organisiert, in denen die Teilnehmenden wichtige Commons in ihrer Stadt identifizieren. Die Methode wurde von Projektleiter Pablo de Soto von der Universität Rio de Janeiro gemeinsam mit Menschen vor Ort entwickelt und bisher in Athen, Istanbul, Rio de Janeiro, Belo Horizonte, São Paulo, Quito und Grande Vittoria eingesetzt. Die Teilnehmenden beschreiben dabei ihre Beziehung zu den Commons der jeweiligen Stadt, und sie benennen die natürlichen Ressourcen, Kulturschätze, öffentlichen Räume, digitalen Commons und sozialen Aktivitäten, die für sie von besonderer Bedeutung sind. Daraufhin werden kurze Videos gedreht und in die digitalen Stadtkarten eingebettet. Der von De Soto und anderen verfasste Beitrag zum Thema (dies. 2013) wurde mit dem Elinor-Ostrom-Preis der Universität Buenos Aires in der Kategorie »Konzeptuelle Zugänge zu den Commons« geehrt.

Einige der innovativsten Projekte kommen aus Italien. World of Commons bildet die »best practices« der kollektiven Nutzung und Verwaltung sehr unterschiedlicher Ressourcen ab: Wohnraum und öffentlicher Raum, oder Weiden, Wälder und Ländereien, die sich seit dem Mittelalter in Gemeinschaftseigentum befinden. Das Projekt wurde von LabGov entwickelt, dem in Rom ansässigen LABoratorium für Commons-GOVernance, das aus einer Kooperation von Labsus (Laboratorium für Subsidiarität, ital.: LABoratorio per la SUSsidiarietà) mit der Internationalen Freien Universität für Sozialwissenschaften Guido Carli (LUISS) entstanden ist. Das Ziel von LabGov, das mit den Regierungen von Rom, Bologna, Taranto und der Provinz Mantua zusammen arbeitet, ist es, Expertinnen und Experten für Commons-Governance und die Gestaltung neuer Institutionen auszubilden. Das Laboratorium in Bologna hat sich darauf spezialisiert, neue Modelle zum Umgang mit städtischen Gemeingütern zu entwickeln, und eine Kampagne initiiert, um das Prinzip der »horizontalen Subsidiarität« einzuführen. Es soll den Bürgerinnen und Bürgerinnen mit dem verfassungsmäßigen Recht ausstatten, sich direkt und auf allen Ebenen an der Verwaltung zu beteiligen.

Ebenfalls aus Italien kommt Mapping the Commons(.org), das in keinem Zusammenhang mit den gleichnamigen Vorhaben von Pablo de Soto steht. Die Initiative war einst Teil des Projekts unMonastery und nahm zu Beginn des Jahres 2014 in Matera ihren Anfang. Die Non-Profit-Organisation unMonastery wird in Gemeinden tätig, die stark von Arbeitslosigkeit und dem Rückbau sozialer Dienstleistungen betroffen sind und in denen es einen hohen Gebäudleerstand gibt. Um damit umzugehen, erarbeiten Personen mit entsprechender Ausbildung gemeinsam mit den Menschen vor Ort innovative Lösungen in einem kollaborativen Prozess. Die kulturellen Reichtümer, lokalen Traditionen, das Wissen und die Erzählungen der Region in einer Karte sichtbar zu machen, all dies unterstützt diesen Prozess, denn die perspektivwendende Frage lautet nicht: Was brauchen wir? Sondern: Was haben wir?

Die Great Lakes Commons Map, die »Karte der Commons der Großen Seen«, ist einzigartig in ihrem Fokus auf eine Bioregion. Paul Baines, ein Lehrer aus dem kanadischen Toronto, veröffentlichte die Karte, als im Mai 2012 das Council of Canadians, eine der größten zivilgesellschaftlichen Organisationen des Landes und intensiv in Sachen »Wasser als Commons« engagiert, mit einer Infotour in mehreren Städten Halt machte. Mit Great Lakes Commons setzen sich viele Gruppen, darunter das Council of Canadians, On The Commons, Vertreterinnen und Vertreter der indigenen Bevölkerung, Stadtregierungen und Bürgerinnen und Bürger aus urbanen und ländlichen Regionen gemeinsam für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Großen Seen ein. Alle, die in dem riesigen Gebiet rund um die großen Seen leben, sind eingeladen, selbst erlebte Geschichten zu erzählen, sei es über Umweltbelastungen oder über die positive Wirkung gemeinsamen Arbeitens und Lebens. Die Karte enthält neben Videos und Erzählungen, auch verschiedene Filter, mit denen beispielsweise die Gebiete der »First Nations«2, Wasserleitungen, Pipelines, die Orte, an denen Unternehmen Wasser zur Produktion von Flaschenwasser entnehmen dürfen sowie eine Liste mit Unterstützern der Great Lakes Commons Charter3 aufgerufen werden können. Die Karte selbst ist in mehrfacher Hinsicht ein Commons: Die Geschichten und Informationen kommen von Menschen, die eine enge Beziehung zu den Großen Seen haben, die Karte steht unter einer Creative-Commons-Lizenz, und die Infrastruktur wird von Ushahidi zur Verfügung gestellt, einer Open-Source-Mapping-Plattform zum Erfassen von Krisensituationen.

Das Projekt P2PValue konzentriert sich auf die große Vielfalt digitaler Initiativen, die auf commons-basierter Peer-Produktion (Commons-Based-Peer-Production, CBPP) beruhen, also der internetgestützten Zusammenarbeit zwischen vielen Menschen zur Produktion von wertvollen Informationen und materiellen Gütern. P2PValue wurde von einem Konsortium aus sechs akademischen Einrichtungen mit dem Ziel gegründet, die Entwicklung einer commons-freundlichen Politik zu unterstützen.4 P2PValue hat, obwohl erste Ende 2013 gegründet, bereits über 300 CBPP-Projekte identifiziert und arbeitet daran, die besten Praktiken und günstigsten Bedingungen für horizontale kollaborative Produktion herauszuarbeiten. Weil digitale Commons im Cyberspace keinen geografischen Orten zugeordnet werden können, sind die Projekte von P2PValue in einer durchsuchbaren Datenbank aufgelistet. Jeder kann zur Plattform beitragen, alle Projektdaten sowie der Quellcode sind frei zugänglich.

Andere Mapping-Projekte widmen sich den Möglichkeiten und Organisationsformen »alternativer« oder »solidarischer Ökonomien«. Shareable und das globale Sharing Cities Network aus den USA haben 2013 und 2014 Dutzende sogenannte »Mapjams« organisiert, damit Menschen zusammenkommen, um Karten mit Sharing-Projekten zu füllen. Aus diesen Mapjams sind mehr als 70 Stadtkarten hervorgegangen, die lokale Kooperativen, Commons, öffentliche Ressourcen oder Plattformen und Organisationen zum Teilen von Ressourcen anzeigen. Der Mitbegründer von Shareable, Neal Gorenflo, meint: »Eine Bestandsaufnahme vorhandener Ressourcen geht oft dem Handeln voraus. Solche Karten machen Intentionen sichtbar, sie verändern das Denken der Teilnehmenden, und sie dienen als praktische Werkzeuge, die den Menschen helfen, sich zu organisieren.«

Die Kartierungsinitiative Vivir Bien konzentriert sich auf die Solidarische Ökonomie sowie die Vielfalt an nicht-kapitalistischen und nicht profitorientierten Initiativen und Organisationen. Gegründet 2010 von der Kritischen und Solidarischen Universität (KriSU) in Wien, ist sie auf Europa konzentriert. Die Projekt-Webseite steht unter einer Creative-Commons-Lizenz und verwendet OpenStreetMap als Grundlage.

Eine weitere interessante kollaborative Mapping-Erfahrung ist der sogenannte P2P Wikisprint. Er hat hunderte Freiwillige aus aller Welt, die meisten davon aus Lateinamerika und Spanien, im März 2013 für 24 Stunden in seinen Bann gezogen. Die P2P Foundation wollte mit dem Wikisprint sehr rasch viele Datensätze von P2P- und Commons-Projekten im spanischsprachigen Raum erfassen. Die so entstandene Karte zeigt die Vielfalt dieses neuen ökonomischen Paradigmas, das sowohl gerade entstehende als auch traditionelle Kulturen in Spanien und Lateinamerika durchwirkt.

Allein die große Zahl junger Kartierungs-Projekten bringt neue Herausforderungen mit sich, die derzeit angegangen werden. Zu den sicher bemerkenswertesten gehört TransforMap, entstanden Anfang 2014 aus einer Zusammenarbeit von Programmierern und Menschen aus Deutschland und Österreich, die den verschiedenen Strömungen der »Ökonomien des Gemeinsamen« verbunden sind. Sie waren der Meinung, dass für all diese Karten eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsamer digitaler Ort notwendig seien, und arbeiten deshalb an einer universell anwendbaren und offenen Taxonomie, die von Bedürfnissen ausgeht und andere Transaktionsformen als jene des Kaufens und Verkaufens in den Mittelpunkt stellt. Diese Taxonomie ist die Grundlage für einen globalen Kartierungsprozess, der dem Motto folgt: »Es gibt viele Alternativen. Wir machen sie sichtbar.« TransforMap soll es für jede und jeden genauso einfach machen, in der eigenen Umgebung den nächsten Ort des Teilens, Tauschens oder Schenkens zu finden wie den nächsten Supermarkt. Die (mittelfristige) Standardisierung der Datensätze wird zudem ermöglichen, Daten aus den verschiedenen alternativen Karten weltweit – über 260 davon wurden bereits zusammengetragen – zu einer einzigen, offenen und freien Karte zusammenzuführen, die in wesentlichen Teilen auf Open Street Map sichtbar gemacht wird.

CommonsScope wiederum ist ein Projekt von CommonSpark, einer gemeinnützigen Organisation aus Texas/USA, das mehrere Sammlungen und Visualisierungen von Commons und Gemeinressourcen sichtbar macht. Das Webportal führt zu mehreren Hundert commons-bezogenen Karten, die Themen wie Lebensmittel, Community Land Trusts, soziale Bewegungen, öffentliche Güter, indigene Kulturen und »Sharing Cities« (»Teilende Städte«) zum Gegenstand haben.

Wegen ihrer spezifischen Inhalte besonders erwähnenswert ist auch FallingFruit, eine Karte, die zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Artikels 786.000 Orte auf der ganzen Welt anzeigte, wo Obst geerntet werden darf. Das deutschsprachige Äquivalent dazu ist die sehr populäre gewordene, interaktive Mundraub-Karte, die Obstbäume, Obststräucher, Nüsse und Kräuter im öffentlichen Raum abbildet. Tausende Menschen nutzen die Plattform, um nicht nur Fundorte miteinander zu teilen, sondern auch Rezepte oder Erfahrungen mit dem Allmendeobst auszutauschen. Anfang September 2014 feierten die Mundräuber den zehntausendsten Fan in einem bekannten sozialen Netzwerk, im Juni 2015 waren es schon 14.300, die Website hat zudem die Schallmauer der fünfzwanzigtausend Anmeldungen durchbrochen.

Ein anderes Beispiel ist Free Little Libraries, ein globales Verzeichnis von in der Nachbarschaft frei erhältlichen Büchern. Daneben gibt es weltweite oder national begrenzte Karten von Hackerspaces, FabLabs und Räumen des Selbermachens wie offenen Werkstätten oder Saatgut (Seed Map), eine Karte aller Transition-Initiativen sowie mehrere Verzeichnisse von Community Land Trusts.

Dank der vielen engagierten Kartographinnen und Kartographen trägt das wachsende Universum an Commons- und alternativökonomischen Karten dazu bei, dass wir das, was durch kolonialistische und kapitalistische Kulturen systematisch zerstört wurde, wieder wahrnehmen und einfordern können. Die Karten unterstützen zudem die Entwicklung neuer Formen der Selbstorganisation, und sie stärken unser Bewusstsein für unsere Verantwortung für die Commons. Gemeinsam erzählen sie die Geschichte eines historischen Moments: in dem ein Systemwechsel von unten die Zivilisation verändert, von einer, die den privaten Reichtum hochhält, zu einer, in der dieser Reichtum geteilt wird.

Die Karten sind flexibel einsetzbare Werkzeuge, die uns ermächtigen, einer gerechten, prosperierenden Welt zur Durchsetzung zu verhelfen.

Bemerkenswerte Karten im Netz

CommonsScope: http://commonsscope.org

Falling Fruit: http://fallingfruit.org

Free Little Library Map: http://littlefreelibrary.org/ourmap

Great Lakes Commons Map: http://greatlakescommonsmap.org

Hackerspaces: http://hackerspaces.org/wiki/List_of_Hacker_Spaces

Mapping the Commons(.net): http://mappingthecommons.net

Mundraub: http://mundraub.org/

National Community Land Trust Network: http://cltnetwork.org/directory

P2P Foundation maps: https://www.diigo.com/user/mbauwens/P2P-Mapping

Seed Map: http://map.seedmap.org

Shareable Community Maps: www.shareable.net/community-maps

TransforMap: http://transformap.co/

Big Transition Map: www.transitionnetwork.org/map

Verbund Offener Werkstätten: www.offene-werkstaetten.org/werkstatt-suche

Vivir Bien: http://vivirbien.mediavirus.org

World of Commons (LabGov): www.labgov.it/world-of-commons

Literatur

De Soto, P., et al. (2013): »Mapping the Urban Commons: A Parametric & Audiovisual Method«, http://mappingthecommons.net/en/blog/2013/12/11/elinor-ostrom-award/ (Zugriff am 4. März 2015).

Kate Chapman ist Geografin. Sie hat sich erheblich für den Aufbau einer OSM-Community in Indonesien engagiert und war bis 2015 geschäftsführende Vorsitzende des humanitären OSM-Teams.

1 | Siehe dazu auch den Beitrag von Jannis Kühne in diesem Buch (Anm. der Hg.).

2 | Bezeichnung für die indigene Bevölkerung Kanadas.

3 | Siehe: www.cglg.org/projects/water/docs/GreatLakesCharter.pdf (Zugriff am 5. März 2015).

4 | Dazu gehören die Universität von Surrey (UK), das Centre National de la Recherche Scientifique (Frankreich), die P2P Foundation (Belgien/Thailand), die autonome Universität von Barcelona (Katalonien/Spanien), die Universidad Complutense de Madrid (Spanien), die Università degli Studi di Milano (Italien) sowie 27 Zusammenschlüsse und Einzelpersonen aus Spanien, Italien, Holland, Frankreich, Irland, Großbritannien, Indien und Luxemburg.