Terre de Liens — Wie Ackerland zum Commons wird
Die zehn Menschen in Roberts Küche freuen sich, es geschafft zu haben. Nach drei Jahren der Vorbereitung sind sie heute zum Feiern zusammengekommen. Zwei von ihnen, Ingrid und Fabian, können sich bald niederlassen und ihre Landwirtschaft betreiben. Der Hof gehört ihnen!
Sich in einem kleinen Schäferdorf der französischen Voralpen als junge Landwirte zu etablieren – das muss man wollen. Überall werden Bergbauernhöfe stillgelegt. Die Arbeit ist hart, und der Betrieb gilt als nicht profitabel genug. Wenn Bauern aufhören, finden sie keine Nachfolger. Manchmal wird dann das beste Land an einen der wenigen verbleibenden, weitgehend industrialisierten Landwirtschaftsbetriebe verkauft. Dörfer werden entweder aufgegeben oder zu Rückzugsinseln für Zweitwohnungsbesitzer.
In Saint Dizier, einem kleinen Dorf mit 35 Einwohnern, haben sich die Menschen anders entschieden. Gemeindevertreter, Einwohnerinnen und Einwohner sowie Bäuerinnen und Bauern haben beschlossen, die Landwirtschaft als Wirtschaftsfaktor und Lebensweise zu erhalten. In ihren Augen sind die neuen Landwirte eben auch junge Menschen, die sich dauerhaft im Ort niederlassen. Also achten sie darauf, wo Land zum Verkauf angeboten wird, und sie kontaktieren die Bauern und Landbesitzer, um etwas über deren Zukunftspläne zu erfahren. Der Gemeinderat hat sogar versucht, öffentliche Förderung für den Kauf von Ackerland einzuwerben, um es an junge Bäuerinnen und Bauern zu verpachten, doch blieb dies erfolglos.
Im Jahr 2006 begannen die Menschen aus Saint Dizier mit Terre de Liens (siehe Kasten) zusammenzuarbeiten, einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die Land für biologische Landwirtschaft zugänglich machen will. Für junge Landwirte waren überall in Frankreich sowohl die Grundstückspreise als auch der harte Konkurrenzkampf um Ackerland und Immobilien zu einer enormen Hürde geworden. Noch schwieriger war es, Biolandbau, Direktvermarktung und andere »alternative« Formen der Landwirtschaft zu betreiben, die normalerweise weder den Banken noch der Politik profitabel genug erscheinen, um als förderungsfähig zu gelten.
Als nun in Saint Dizier ein Bauernhof verkauft werden sollte, stand die kleine Gruppe bereit. Innerhalb weniger Monate nahm sie mit dem Eigentümer und allen für die Transaktion relevanten Institutionen Kontakt auf. Sie sammelte von den Bewohnern des Ortes, ihren Familien und Freunden Geld ein. Und es funktionierte! Durch Mund-zu-Mund-Propaganda, bei öffentlichen Veranstaltungen und Märkten kamen in kurzer Zeit 50.000 Euro zusammen. Terre de Liens steuerte durch sein landesweites Unterstützer-Netzwerk weitere 100.000 Euro bei.
Die Menschen investieren, weil sie die biologische Landwirtschaft stärken, Bergbauernhöfe erhalten, die Umwelt schützen und jungen Bäuerinnen und Bauern eine Chance geben wollen. Bald können Ingrid und Fabian eine Herde von 160 Schafen zur Weide treiben und Käse herstellen. Zudem bauen sie eine kleine Brauerei auf, arbeiten an einem »Urlaub auf dem Bauernhof«-Konzept und überlassen entgeltlich einen Teil des Landes an einen Obstbauern. Die Gruppe trifft sich weiterhin regelmäßig. Sie sprechen über die Bedingungen des Pachtvertrages und über Fragen des Umweltschutzes auf dem Hof, sie planen die Renovierungsarbeiten an den Gebäuden, unterstützen Ingrid und Fabian beim Aufbau einer Direktvermarktung und fördern den Austausch von Geräten und Dienstleistungen unter den ortsansässigen Bauern. Wird erneut ein Hof zum Verkauf angeboten, beginnt der Prozess von vorne, und wieder folgen viele Monate der Mobilisierung. Nach etwas mehr als fünf Jahren gibt es in dem 35-Einwohner-Dorf drei neue Landwirtschaftsbetriebe, und vier junge Familien mit Kindern haben sich dauerhaft angesiedelt.
In ganz Frankreich unterstützt Terre de Liens ähnliche Prozesse, um landwirtschaftlich genutzte Flächen zu erhalten und einer neuen Bauerngeneration unter die Arme zu greifen. Die Beteiligten sind überzeugt: Landwirtschaft geht alle an; und wenn die Qualität der lokalen Nahrungsmittelproduktion verbessert werden soll, dann ist es von zentraler Bedeutung, wie und von wem das Land genutzt wird. Das Gleiche gilt für die Unterstützung des ökologischen Landbaus und die Belebung ländlicher Regionen. Die Arbeit von Terre de Liens beruht auf der Grundannahme, dass der Wert des Ackerlandes darin liegt, dass es sowohl zur Lebensmittelproduktion, als auch zu stabilen Ökosystemen und zur allgemeinen Lebensqualität beiträgt. Wer immer also in den Landkauf einer solchen Gruppe investiert, hat für sich entschieden, dass es nicht um den eigenen Gewinn geht. Rein formal gesehen werden die Geldgebenden zwar Teilhabende eines privaten Unternehmens, doch alle wissen, dass das Land nicht wieder auf dem freien Markt verkauft werden wird, solange Terre de Liens existiert. Sie werden keine Dividenden bekommen, bestenfalls wird der Wert ihrer Anteile von Zeit zu Zeit der Inflation angepasst und zudem sind die Investitionen in begrenztem Maße von der Einkommensteuer absetzbar. Die Investoren versprechen sich eher Vorteile nichtmonetärer Art: die direkte Beziehung zu einem Bauernhof, gute, vor Ort erzeugte Lebensmittel, fruchtbare Erde, der Erhalt von Biodiversität und Lebensorten sowie ein Gefühl der Zugehörigkeit.
Terre de Liens ist eine noch junge Bewegung, die sich vielen Aufgaben gegenüber sieht: die Begleitung und Verwaltung der Höfe und Gebäude zu verbessern, über den Kreis der ersten Mitstreiterinnen und Mitstreiter hinaus bekannt zu werden, die finanzielle Lage zu stabilisieren und vieles mehr. Bis heute hat Terre de Liens 120 Bauernhöfe »freigekauft«, 12.000 Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden und einige Dutzend Partnerschaften mit Lokalbehörden auf den Weg gebracht. Wem das im Verhältnis zur Gesamtzahl französischer Landwirtschaftsbetriebe bescheiden erscheint, der registriere es als starkes Zeichen dafür, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger für eine intelligentere Raumordnung, ökologischen Landbau und starke ländliche Regionen einsetzen, sofern sie die Möglichkeit dazu bekommen.
Terre de Liens tut all dies, indem es Land aus dem Warensystem befreit. (Rioufol/Wartena 2011). Derzeit geschieht diese Art der Landbefreiung mit »kapitalistischen« Methoden, über Privateigentum und Geldanlagen, doch die Organisation sowie ihre Unterstützer sind überzeugt, dass die Idee, Ackerland als Commons zu behandeln und rechtlich zu schützen und zu fördern, auch durch solche Formen solidarischer Ökonomie vorangetrieben werden kann.
Inzwischen geht es für Terre de Liens auch darum, mit ähnlichen alternativen Bewegungen in Europa und der ganzen Welt zusammen zu arbeiten. Der Rückgang kleinbäuerlicher Landwirtschaft ist in vielen Ländern ebenso bekannt wie die desaströse Auswirkung konventioneller Landwirtschaft auf Umwelt und Gesundheit bei gleichzeitiger Verödung ländlicher Regionen. Dagegen regt sich an vielen Orten der Widerstand einer neuen Bauerngeneration. Sie ist angetreten, um die Landwirtschaft wieder in ihr soziales Umfeld zu integrieren und Nahrungsmittel für den lokalen und regionalen Markt zu erzeugen. So gesehen ist Terre de Liens Teil eines größeren Prozesses zur Wiederbelebung einer aktiven, gemeinschaftsbezogenen Form der Landwirtschaft und des Lebens auf dem Land.
Terre de Liens in Zahlen:
• 12.000 Personen sind beteiligt
• 120 Bauernhöfe wurden erworben und damit…
• 2.400 Hektar für biologische, kleinbäuerliche Landwirtschaft gewonnen
• 200 künftige Bäuerinnen und Bauern werden jährlich unterstützt
• 1 soziales Unternehmen, 1 Stiftung, 19 regionale Vereine und 1 nationaler Verein wurden gegründet
• 35 Millionen Euro wurden investitiert
• 5 Millionen Euro Spenden kamen zusammen
• 1 Anteil an Terre des Liens kostet im Jahr 2015 103 Euro
Literatur
Rioufol, V. und S. Wartena (2011): »Terre de Liens: removing land from the commodity market, and enabling organic and peasant farmers to settle in good conditions«, www.terredeLiens.org (Zugriff am 15. Mai 2015).