Neuer Wohlstand
Wie der Bangla-Pesa in einem Armenviertel die Wirtschaft ankurbelt
Oft bleibt unbeachtet, dass Geld nur funktioniert, sofern es eine Gemeinschaft gibt, die es akzeptiert und bereitwillig als Tauschmittel für Waren und Dienstleistungen nutzt. Die meisten Währungen werden von der Regierung des jeweiligen Nationalstaates ausgegeben, verwaltet und gedeckt. Was aber wäre, wenn eine ärmere Gemeinschaft ihre eigene Währung erfände, um den Austausch untereinander zu fördern? Genau dies ist in der informellen Siedlung Bangladesh, einem Slum im kenianischen Mombasa, geschehen.
Initiiert wurde das Ganze von Will Ruddick, einem Gemeinschaftswährungsexperten, der seit 2009 in der Entwicklungszusammenarbeit in Kenia tätig ist. Ein Dutzend Kleinstunternehmer des Slums Bangladesh hat daraufhin den »Bangla-Pesa« zur neuen Währung erklärt, die eingesetzt wird, um vor Ort auf unkomplizierte Weise frische Produkte, Fahrradreparaturen, die Nutzung von Verkehrsmitteln oder Ähnliches zu tauschen.
Die Gemeinschaftswährung gibt der lokalen Wirtschaft Auftrieb, indem sie die kenianische Nationalwährung ergänzt, denn die Familien in den Slums haben oft enorme Schwierigkeiten, auf dem Markt Abnehmer für ihre Angebote zu finden. Daher sind die Beträge, die sie (in kenianischem Schilling) verdienen, sehr dürftig. Auf lokaler Ebene ist es hingegen viel einfacher und meist auch effizienter, Waren und Dienstleistungen untereinander zu tauschen. Deshalb geschieht das im Armenviertel Bangladesh nun in Bangla-Pesa; so bleibt den beteiligten Familien mehr Geld übrig, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Seit der Einführung der neuen Währung kursierten innerhalb des Viertels drei Millionen Schilling als Bangla-Pesa. In Gatina, einem Armenviertel der Hauptstadt Nairobi, haben die Bewohner inspiriert vom Erfolg des Bangla-Pesa ein neues Gemeinschaftswährungsprojekt begonnen, den Gatina-Pesa.
Silke Helfrich: Will, wie hat alles angefangen?
Will Ruddick: Die Idee des Bangla-Pesa ist nicht neu. Sie wurde zuerst in Kongowea, in den Slums Kisumu Ndogo, Shauri Yako und Mnazi Mmoja, eingeführt. Einige von uns brachten sie dann im März 2013 nach Bangladesh, um die Wirtschaft innerhalb des Viertels zu stabilisieren. Bangla-Pesa ist eine Art Abrechnungssystem für den gegenseitigen Tausch, oder sagen wir: ein Kreditsystem auf Gegenseitigkeit. Die Mitglieder dürfen nur so viele Bangla-Pesa einnehmen, wie sie an einem Tag auf lokaler Ebene für Grundbedürfnisse wie Nahrungsmittel und Wasser ausgeben können. Zudem darf niemand mehr als 400 Bangla-Pesa auf einmal besitzen. Als wir das Programm entwickelten, wurde ein Garantiemechanismus für die Währung etabliert, so dass die Beteiligten für die Währung einstehen, sowie ein community-basierter Fonds, der das System sicherer und nachhaltiger macht.
Silke Helfrich: Wie konntet Ihr die Menschen für den Bangla-Pesa interessieren?
Will Ruddick: Die Meisten hier sind sehr arm und können nicht einmal ihre Grundbedürfnisse befriedigen. Wir wollten mit dieser Währung zu wirtschaftlichen Aktivitäten ermutigen, die jenen, die kaum konventionelles Geld verdienen, dabei helfen, an Lebensmittel und andere notwendige Dinge zu kommen. Die Leute waren mehr als froh, an solch einem Experiment teilnehmen zu können.
Wir sehen die Währung als ein Mittel, das es den Mitgliedern ermöglicht, untereinander zu handeln. Der Bangla-Pesa ist eine Art Gutscheinsystem für und zwischen Kleinstunternehmen, an dem sich nur im Netzwerk registrierte Mitglieder beteiligen können. In diesem Sinne ist er eine Komplementärwährung. Technisch gesehen handelt es sich um ein Verrechnungssystem für den multilateralen, gegenseitigen Austausch. Doch auch Menschen außerhalb des Netzwerks finden das Projekt gut, denn es unterstützt auch gemeinschaftliche Aktivitäten, wie Aufräum- und Müllbeseitigungsaktionen im Viertel. Zudem wissen sie, dass mit dem Bangla-Pesa Waren und Dienstleistungen an mehr als 100 Orten erworben werden können.
Silke Helfrich: Wie habt ihr die Einführung des Bangla-Pesa gestaltet?
Will Ruddick: Wir haben mehr als 200 Kleinstunternehmen in einer gemeinschaftsbasierten Organisation zusammengebracht, dem Bangladesh-Business-Netzwerk. Alle mussten sich formell als Mitglieder registrieren und zustimmen, den Bangla-Pesa als Währung für alle ihre Angebote zu akzeptieren – ob Lebensmittel, Dienstleistungen oder Transporte. Sie mussten zudem sicherstellen, dass sie mit jeweils 400 Bangla-Pesa in Waren und Dienstleistungen den Bangla-Pesa decken würden. Darüber hinaus brauchte jedes Mitglied vier weitere Mitglieder, die die eigene Mitgliedschaft befürworteten. Die Bangla-Pesa dienen als Gut- oder Schuldscheine für die Waren und Dienstleistungen der Mitglieder.
Silke Helfrich: Wie reagierten die Menschen zu Beginn auf die neue Währung?
Will Ruddick: Die Menschen im Viertel erkannten die Vorteile schnell. Sie konnten ihre Bedürfnisse befriedigen, auch wenn sie kaum »richtiges Geld« hatten. Aber sofort traten die Behörden auf den Plan. Sie befürchteten, dass der Bangla-Pesa die kenianische Nationalwährung, den Schilling, ersetzen oder zumindest bedrohen würde. Sechs Gründungsmitglieder wurden von der Changamwe-Polizei verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Die Polizei war sichtlich beunruhigt, weil es in der Region separatistische Bewegungen wie den Mombasa Republican Council gibt. Die Regierung fühlte sich und die nationale Währung durch den Bangla-Pesa bedroht. Ende Mai 2013 wurden wir sechs wegen Besitzes illegaler Zahlungsmittel verurteilt. Alle Mitglieder des Bangladesh-Business-Netzwerks wurden angewiesen, die Währung nicht mehr zu verwenden. Wir waren perplex. Warum sollte ein so einfacher Mechanismus, der die Menschen in ihrer Selbstorganisation sinnvoll unterstützt, für die Nationalbank bedrohlich sein?
Silke Helfrich: Habt Ihr die Regierung überzeugt, dass sie den Bangla-Pesa nicht fürchten muss?
Will Ruddick: Am Ende ja. Wir haben klargemacht, dass der Bangla-Pesa nicht in Schilling umgetauscht werden kann. Die beiden Währungen sind nicht miteinander konvertierbar. Wir haben auch betont, dass der Bangla-Pesa eher ein Gutscheinsystem ist als eine Währung im engeren Sinn, denn der Wert des Bangla-Pesa ist an den Kenia-Schilling gebunden. Wir konnten den Staatsanwalt überzeugen, dass es unser Ziel war und ist, den Lebensstandard der Ärmsten der Armen zu heben. Jedenfalls befand er im August 2013, drei Monate nach unserer Verhaftung, dass wir keine Gesetze gebrochen hatten und hob die Anklage auf.
Silke Helfrich: Was geschah dann?
Will Ruddick: Unsere Verhaftung hatte den Aufschwung beendet, den der Bangla-Pesa ausgelöst hatte, denn es durfte ihn ja niemand mehr verwenden. Aber wir starteten im November 2013 neu durch. Dieses Mal mit Unterstützung der ganzen Community sowie lokaler Führungspersönlichkeiten und Regierungsvertreter. Seitdem hat der Handel mit dem Bangla-Pesa wieder Fahrt aufgenommen.
Silke Helfrich: Und was heißt das konkret?
Will Ruddick: Nehmen wir ein Beispiel: die 64-jährige Maciana Anyango. Sie ist Witwe und Alleinverdienerin, und sie sorgt für ihre 17-jährige behinderte Tochter sowie ihren Sohn, der zwar als Fahrer ausgebildet ist, aber bisher keine Arbeit finden konnte. Sie erzählt: »Ich hatte nichts zu essen, weil wir nicht genug Schilling hatten. Nun kann ich mir auch ohne richtiges Geld Essen leisten, weil ich noch den Bangla-Pesa nutzen kann.« Oder nehmen wir den Fahrradtransportunternehmer, der täglich 20 Kunden bedienen könnte, aber normalerweise nur von zehn Personen in Anspruch genommen wird. Jetzt kann er auch jenen Unternehmen Transporte anbieten, die zwar keine kenianischen Schilling, aber Güter oder Dienstleistungen übrig haben, etwa eine Frau, die noch Tomaten zum Markt bringen will. Das hilft der Gemeinschaft, ökonomisch schwierige Situationen zu überstehen. Es gibt hunderte Millionen von Menschen in dieser Situation. Sie haben Güter und Dienstleistungen anzubieten, aber kein »richtiges Geld«. Warum sollten sie also nicht ihre eigenen Tauschmittel schaffen, die sie direkt mit dem stützen, was sie haben und können?
Silke Helfrich: Geht es beim Bangla-Pesa nur ums Geschäft, oder gibt es noch andere Gründe mitzumachen?
Will Ruddick: Die Leute machen mit, weil es gut für die Gemeinschaft ist. Frederick Ochieng beispielsweise hat ein Reparaturunternehmen für Elektrogeräte, und er hat eine siebenköpfige Familie. Das ist in Afrika nicht ungewöhnlich. Ochiengs Motivation war, dass er sich etwas für seine Familie leisten wollte; Karussellfahrten für die Kinder zum Beispiel. Und er wollte sich an Gemeinschaftsaktivitäten beteiligen, wie Reinigungsaktionen in der Nachbarschaft. Seit er den Bangla-Pesa verwendet, hat er tatsächlich viele neue Menschen kennengelernt – in der Nachbarschaft und im Netzwerk, und diese werden manchmal auch seine Kunden, wenn sie Probleme mit ihren Mobiltelefonen bekommen.
Silke Helfrich: Was unterscheidet die Währung von der Nationalwährung, dem Kenia-Schilling?
Will Ruddick: Der Bangla-Pesa ist so viel wert wie der Kenia-Schilling, aber er kann nicht in diesen umgetauscht werden. Er funktioniert wie ein Gutschein, der nur innerhalb der Community zirkuliert – damit bleibt das, was die Community kann und hat, in der Community erhalten und wird ihr nicht entzogen. Anders als der Schilling, dessen Wert sich mit der Inflation ändert, laufen die Gutscheine nach einem Jahr aus. Sie können dann jedoch mit einem Aufkleber, der in Bangla-Pesa gezahlt wird, in den Gemeinschaftstopf (Community Fonds) gehen. So kommen immer wieder Mittel zusammen, um Tätigkeiten für die Gemeinschaft zu unterstützen.
Silke Helfrich: Inwiefern ist das Bangla-Pesa-System ein Commons?
Will Ruddick: Der Bangla-Pesa wird von einer Nonprofit-Organisation namens KORU (Kenyans Organizing Regional Unity)1 verwaltet. Ich habe sie gemeinsam mit Jacky Kowa gegründet, einer Kenianerin, die sich für Frauenrechte und Gesundheitsthemen engagiert. Die Mitglieder von KORU werden gewählt und kontrollieren die Währung. Sie befassen sich mit allen Konflikten, die zwischen den Mitgliedern aufkommen. Der Bangla-Pesa ist gewissermaßen sowohl ein Symbol als auch ein Instrument für den Wohlstand der Gemeinschaft, denn er beruht auf dem gemeinsamen Pool an Gütern und Dienstleistungen aller Netzwerkmitglieder. Sein Wert entspricht dem aller Güter und Dienstleistungen: den Tätigkeiten eines Lehrers; den Tomaten, die von einem Bauern angebaut werden; den angebotenen Motorradfahrten usw. Nicht mehr und nicht weniger. Die Gutscheine repräsentieren also den gemeinsamen Reichtum. Mit ihrer Hilfe können die Menschen auch den Zusammenhalt stärken. Zweihundert der vierhundert Bangla-Pesa, die jedem Kleinstunternehmen des Netzwerks zugeteilt werden, sind für Gemeinschaftsdienstleistungen reserviert. Die Mitglieder können aber selbst bestimmen, was sie konkret finanzieren wollen. Bangla-Pesa stoßen neue Beziehungen und Kooperationsformen an. Rose Akiny zum Beispiel betreibt eine Maismühle, mit deren Hilfe sie die Familie ihrer Schwester nach deren Tod unterstützt. Sie sagt: »Ich fand Freunde, die in ihren Geschäften den Bangla-Pesa verwenden. Sie unterstützten mich, und dann unterstützte ich sie. Jetzt gehe ich in ihre Geschäfte um Mais, Reis und Bohnen zu kaufen, und sie lassen ihr Getreide in meiner Mühle mahlen. Ich gehe dorthin, wo der Bangla Pesa verwendet wird, und lerne, wo ich mit ihm Dinge kaufen kann. Es ist leicht, diese Menschen zu finden, weil die Geschäfte gekennzeichnet sind.«
Silke Helfrich: Wie hat der Bangla-Pesa die Situation in Bangladesh insgesamt verbessert?
Will Ruddick: Im Netzwerk werden derzeit umgerechnet etwa hundert Euro pro Tag in Bangla-Pesa umgesetzt, zusätzlich zum Kenia-Schilling. Eine Studie zur Wirkung des Programms hat ergeben, dass mehr als 83 Prozent der Teilnehmenden durch die Nutzung der Gutscheine einen Zuwachs ihrer Umsätze verzeichnen. Im Durchschnitt haben die täglichen Umsätze um 22 Prozent zugenommen, während es bei den Umsätzen mit Kenia-Schilling keine Steigerung gab. Das heißt, der Bangla-Pesa hat wirtschaftliche Aktivitäten ermöglicht, die ohne ihn gar nicht stattgefunden hätten. Frauen profitieren davon besonders, weil ihnen hier 75 Prozent der Kleinstunternehmen gehören. Der Bangla-Pesa hat seine Nutzerinnen und Nutzer zudem unabhängiger von der formellen Ökonomie und der Volatilität der Märkte gemacht.
Silke Helfrich: Viele Commoners diskutieren die Dominanz von Geld und Marktmechanismen eher kontrovers. Schließlich gibt es auch andere Wege, wie Menschen ihre Bedürfnisse befriedigen und einander unterstützen können. Für wie wichtig halten Sie eine Währung oder ein Tauschmittel für die Verbesserung der Lebenssituationen der Menschen mit denen Sie arbeiten?
Will Ruddick: Es ist wirklich wichtig zu verstehen, wie Menschen durch ihre Beteiligung am kapitalistischen Spiel verarmen, also die Ursachen der Armut zu begreifen. Wenn wir Armut als etwas betrachten, das hergestellt wird, indem eine elitäre Minderheit die Ressourcen kontrolliert, dann können wir vielleicht erkennen, dass die Kontrolle des Geldes selbst ein wichtiges Werkzeug dieser Elite ist. Sicher sind mangelhafte Bildung, Korruption und fehlende Arbeitsplätze auch Gründe für die Armut der Menschen in Bangladesh und allgemein in Mombasa. Aber sie sind nicht der Hauptgrund. Es gibt eine nahezu unbegrenzte Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, Bildung inklusive und eine nahezu unbegrenzte Zahl von Menschen, die Angebote hätten, um diese Nachfrage zu befriedigen. Es fehlt aber das Instrument, das zwischen beidem vermittelt. Leider ist es fast immer nur als nationale Währung verfügbar, die normalerweise von gewinnorientierten Institutionen und Banken kontrolliert wird, die wiederum von der wachsenden Verschuldung anderer profitieren wollen. Wenn Gemeinschaften stattdessen ihre eigenen Tauschmittel kontrollieren, könnten sie den Handel für ihre eigenen Zwecke nutzbar machen. Sie könnten vom kenianischen Schilling unabhängiger werden, wenn sie den Bangla-Pesa verwenden, wo immer das möglich ist. Die Währung würde damit einen Puffer für die Gemeinschaft schaffen, der ihr hilft, auch die schwierigsten wirtschaftlichen Zeiten durchzustehen.
1 | Wörtlich: Kenianer organisieren regionale Einheit.