Die Welt der Commons

Muster des gemeinsamen Handelns

INTERMEZZO II

Die Innenwelt der Außenwelt: Über Commons und Commoning

Die in Teil II zusammengetragene Vielfalt bemerkenswerter Commons sollte – so der Gedanke – etwas Verborgenes unter Sichtbarem freilegen, es (be-)sprechbarer machen und in einem größeren Kontext reflektieren. Dabei ging es nicht darum, aus der Vogelperspektive auf die »Welt der Commons« zu schauen oder sie als außenstehende Beobachter in ihren Elementen und Strukturen zu erfassen, als gäbe es darin die exakten Tonfolgen und Motive einer Komposition zu entdecken. Auch ging es nicht darum, die Projekte zu bewerten, als gäbe es die eine gültige Commons-Definition. Vielmehr wollten wir dazu einladen, Commons zu durchwandern, um sich diese Welt Stück für Stück zu erschließen.

Im nächsten und letzten Teil möchten wir nun mit unserer Suche eine Ebene tiefer gehen, weil wir denken, dass die auf den ersten Blick verwirrende Vielfalt der Commons uns einen Weg zu anderen Seinsweisen aufzuzeigen vermag. Genau das versuchen die Autorinnen und Autoren in ihren Beiträgen, wenn sie »die Innenseite« des Commoning ergründen. Sie tun das, nahezu alle anthropologisch ausgebildet, in verschiedenen Lebenswelten und Kulturen; etwa indem sie das Fischerwerden und Fischersein an der schottischen Küste beschreiben (Andrea Nightingale) oder die Beziehungen zwischen einigen Maori-Gemeinschaften, dem Meer und ihren Fischereipraktiken zugänglich machen (Anne Salmond). Damit rückt dieser Teil das Commoning als Prozess der »Subjektivierung« in den Blick. In den Beiträgen werden die Faktoren, Bedingungen und Denkweisen skizziert, die auf unser Handeln wirken und somit auf das, was wir ständig werden. Dieses permanente Werden in den Blick zu bekommen ist wichtig, denn selbstredend ist Kooperation in uns angelegt. Wir sind in vielfältige Beziehungen eingebunden und von diesen Beziehungen abhängig. Doch genauso wenig, wie wir als »homo oeconomicus« geboren werden, sind und bleiben wir stets auf Beziehungs- und Kooperationspflege bedacht. Vielmehr werden wir durch zahllose bewusst oder unbewusst vollzogene Alltagspraktiken das Eine oder Andere (und nicht selten beides zugleich). Handeln wir vornehmlich geldvermittelt in Prozessen, die vermessen und berechnet werden, so werden wir berechnend, werden zu Händlern oder Transaktionisten. Wir denken und erleben uns als Kunden oder Produzenten. Wir liefern ständig etwas ab, bekommen etwas geliefert und werden zu Lieferanten oder Dienstleistungsempfängern. Oft in mehrfach täglich wechselnden Rollen. Wir üben – gedrängt in marktorientierte Infrastrukturen – den »homo oeconomicus« täglich ein, wie die Schauspielerin eine Rolle oder der Musiker eine Partitur; oft getrieben von institutionellen Zwängen, politischen Kalkülen, medialem Spektakel und kunstvoll inszenierten Trugbildern.

Auch Commoning müss(t)en wir üben, denn es macht uns erst zu »Commoners«. Nicht einmal und für alle Zeiten, sondern immer wieder neu.

Wenn die Autorinnen und Autoren der folgenden Beiträge die Haltungen, Gewohnheiten und das Tun von Menschen erfassen, die zu teilende Ressourcen verwalten, gemeinsam Probleme lösen und ihre kollektiven Rechte verteidigen – so wie das Nigel Gibston für die Barackenbewohner in Südafrika tut –, dann helfen sie uns besser zu verstehen, was schon im Intermezzo I deutlich wurde: Bei Commons geht es im Kern um eine andere Art und Weise des Sehens, Wissens, Seins und Handelns. Doch das verlangt eine gewisse Stetigkeit, Phasen des Probierens und Praktizierens, die Möglichkeit zu irren, zu verwerfen und wieder neu anzufangen.1 Commoning braucht Zeit und Unterstützung – auch und insbesondere von der Politik. Es braucht geschützte Räume zum Experimentieren, zur Entfaltung von Eigenständigkeit, von Widerständigkeit sowie zum gedanklichen und emotionalen Verarbeiten dessen, was sich jeweils konkret ereignet, damit aus dem Zwischenmenschlichen und den spezifischen Mensch-Natur-Beziehungen überhaupt etwas Anderes entstehen kann. Bestenfalls neue Selbstverständlichkeiten.

Welche Rolle Widerstand dabei mindestens spielen muss, wird in einigen Beiträgen auch benannt: »Finger weg! Es gibt Dinge, die niemandem allein gehören.«

Im Grunde folgen wir einem anderen Denkansatz und damit auch einer anderen Methode und Strategie als jenen, in existierende institutionelle Strukturen bessere Regeln und Gesetze einschreiben zu wollen und im Ergebnis gesunde Wälder, saubere Gewässer, stabile Fischbestände, menschenwürdigen Wohnraum, Bildung und Gesundheit für alle, vollwertige Lebensmittel oder fruchtbare Böden zu erwarten. Es wird nicht genügen, das als richtig Angenommene in unveränderte gesellschaftliche Verhältnisse und Wirtschaftsweisen hinein zu verordnen. Es wird auch nicht gelingen, das als richtig Erkannte oder Angenommene von oben nach unten durchzuregieren. Gewiss gibt es vielfältige Wege, um ähnliche Ergebnisse zu erreichen. Warum wir den Weg der Commons favorisieren und für ein Feuerwerk an (politischer) Unterstützung sowie eine persönliche Haltung – ja Ihre! – für das Commoning werben, hängt mit der sozialen Verankerung des Vorgehens zusammen: Das Ringen um eine freie, faire und nachhaltige Zukunft muss stets mit der Frage beginnen, wie wir zusammen leben wollen und wie dieses Zusammenleben so zu gestalten ist, dass sich niemand über den Tisch gezogen fühlt. Das heißt auch, immer zu fragen: Wer ist betroffen? Wer ist zuständig? Wer kann und will gestalten? Wer kann sich wehren? Wer kann etwas befördern oder behindern und warum? Diese Fragen können meist nicht ein für allemal beantwortet werden, sondern sind immer wieder neu zu stellen.

So zu denken und vorzugehen, entfernt uns zugleich von linearen Entwicklungsvorstellungen, vermittelt uns »pluriversale Perspektiven« (Arturo Escobar) und bringt uns in vielfältige ontologische Auseinandersetzungen, ohne die eine Verteidigung von sozialen Territorien, von Räumen des Gemeinsamen, nicht zu erklären sind – überall auf der Welt. Alle Autorinnen und Autoren dieses Kapitels tragen dazu bei, in den Blick zu nehmen, was sich in Commons konkret vollzieht und wie soziale Aneignungen vor sich gehen, egal ob das offensichtlich oder subtil geschieht. Sie begreifen Commons als soziale Handlung, nicht vorwiegend als Institution, Produkt oder Ergebnis. Selbst der Evolutionswissenschaftler David Sloan Wilson, der anschaulich seine Zusammenarbeit mit Elinor Ostrom in ihren letzten Lebensjahren beschreibt und sich dabei auf die in der Commons-Forschung dominierenden Konzepte und Methoden der Institutionenökonomie stützt, zeigt, wie weit es trägt, wenn ein anderer Blick auf vermeintlich Bekanntes – hier die Evolution – gerichtet wird. Der Biologe und Philosoph Andreas Weber geht zum Ausklang dieses Bandes noch einen Schritt weiter. Er sieht die Wirklichkeit selbst als Commons, als eine dynamische Matrix von Beziehungen. Nach seiner Auffassung beschreiben Commons eine Ontologie »schöpferischer Lebendigkeit«: Darin schlummere die Möglichkeit zu einem relationalen Weltverständnis, das nicht nur Strukturen, Algorithmen und Kausalitäten, sondern auch die Handlungen und Empfindungen der Akteure umgreife und das damit kein Dualismus mehr sei.

In all dem liegt ein Freiheitsmoment, das neue Wege öffnet, die je eigene Gegenwart kreativ im Sinne der Commons – jenseits von Markt und Staat – zu gestalten. Denn im konkreten, kreativen Tun, in Freiheit in Bezogenheit, liegt Schöpfungskraft für neue Ideen, für Bedeutungswandel, Innovation, Zukunft!

Silke Helfrich und David Bollier

1 | Stattdessen werden schon die Schülerinnen und Schüler auf ein ganz anderes Verständnis des »Wirtschaftens« gepolt, sie sollen »für den Markt« fit gemacht werden. Exemplarisch steht dafür das Lehrerportal www.wirtschaftundschule.de, das von der IW Medien, einer Tochter des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, konzipiert und verantwortet wird. Aufgesetzt wurde es von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die ihre Arbeitsmaterialien allgemeinverständlich zu gestalten bemüht ist, was Wendungen wie diese hervor bringt: »Und weil all das noch längst nicht ausreicht, um auszudrücken, was auf Märkten geschieht, kennt die deutsche Sprache auch noch Marktteilnehmer, Marktführer, Marktforscher, Marktanteile, Marktlücken, Marktpreise, Markttrends, Marktreife, Marktwachstum, Marktvolumen, Marktumfeld – und so weiter und so markt« (INSM: Märkte verstehen – Wie Angebot und Nachfrage zusammenhängen, 2010, S. 5).